Am Samstag, dem 21.05.1955, gingen die kaufmännischen Lehrlinge aus der Oberstufe der Bergbaufachklasse mit einem Autobus auf große Studienfahrt. Das Ziel für den ersten Tag war Emden als Umschlagshafen mit dem Emdener Kohlekontor. Von der Wasserschutzpolizei wurde uns die Bedeutung des Hafens erklärt. Der theoretischen Unterrichtung folgte eine Besichtigung des Außenhafens. Das wurde eine vergnügte Bootsfahrt und war etwas ganz Neues für unsere Landratten. Dann ging es geschlossen durch die Stadt Emden zur Jugendherberge „Kesselschleuse“, ein Neubau am Deich mit einer großen Sportplatzanlage. Obwohl gegen Abend eine leichte Brise aufkam, haben wir eine warme und gemütliche Unterkunft vorgefunden. Um 22,00 Uhr herrschte – offiziell wenigstens – Herbergsruhe.

Sonntagsmorgen großes Wecken. Schon gegen 6,00 Uhr in der Frühe wurde gemeinsam gefrühstückt. Gestärkt fuhren wir aus Emden in Richtung Oldenburg. Es war eine recht eindrucksvolle Fahrt. Wir kamen vorbei an Deichanlagen, deren Bedeutung uns bislang nur durch Bücher bekannt war. Als „Zaungäste“ erlebten wir ein Motorradrennen auf unserer Fahrstrecke. Aber das passte nicht so recht in den Rahmen der norddeutschen Küstenlandschaft.

Über Leer erreichten wir Bad Zwischenahn, wo vor dem Kriege ein Schleppstaffelstützpunkt der zivilen Seeluftfahrt war. JU 52 und W 34 (See) brachten die Feriengäste von hier zu den Nord und Ostseebädern.

Gegen 9,00 Uhr war Oldenburg erreicht. Die Fahrt wurde unterbrochen für einen geschlossenen Kirchgang, Besichtigung des Stadttheaters und des Museums. Viel Zeit blieb nicht, denn mittags wollten wir schon in Bremen sein. Ein Ansturm auf Speiserestaurants zeigte besser als jede Uhr die Tageszeit an. Nach einem Abstecher zum „Roland“ und zu den „Bremer Stadtmusikanten“ verabschiedeten wir uns von der alten Bremer Mühle am Bahnhof.

Über die Autobahn und die Lombardi-Brücke liefen wir Hamburg an. Die St. Pauli Landungsbrücken boten willkommene Rast vor dem Spaziergang durch den Elbtunnel und zum Bismarck-Denkmal. Gegen Abend brachte uns der brave Bus die Elbemündung entlang bis nach Itzehoe. In der Jugendherberge am Waldrand wurde übernachtet. Das Wecken war für 5:00 Uhr festgelegt, damit der umfangreiche Fahrplan eingehalten werden konnte. Unsere Reise führte weiter über Neumünster nach Kiel. Wir bewunderten die Schleusen des Nord-Ostsee-Kanals, gingen durchweg zum ersten Mal über ein Schleusentor, erlebten die Abfertigung und das Durchschleusen eines 3000t-Dampfers und hörten einen kurzen Vortrag über Umschlagstonnage und -gebühren für Exportkohle nach Schweden, Norwegen und Dänemark. Weitere Sehenswürdigkeiten waren die bekannte Kieler Hochbrücke, die Deutsche und Kieler Werft, die Universität und das Ehrenmal Laboe. Eine Fahrt längs des Hafens bildete den Abschluss.

Auf dem Weg nach Eutin kamen wir durch die schöne Holsteinische Schweiz mit ihren Seen. In Lübeck wurden wir vom Leiter des Drägerwerkes, Herrn Dr. Hollmann, erwartet. Hier, fern vom Ruhrgebiet, erkannten wir die Verbundenheit eines großen Werkes der Bergbauzulieferungsindustrie mit ihren Ruhrzechen. Ein ausführlicher Vortrag machte uns bekannt mit der Entwicklung des Werkes und dessen Erzeugnis: von der Uhr bis zur Nähmaschine, von landwirtschaftlichen Geräten bis zu dem vom Gründer des Werkes erfundenen Druckminderventilen für die Kohlensäure. Später begann die Herstellung von Schweißgeräten, bis der Ausbrennschutz für hochkomprimierten Sauerstoff in Flaschen hergestellt wurde, und Geräte für Atemschutz. Ihr Einsatz verlangt werksseitig umfangreiche Prüfungen und zahlreiche Übungen.

Da das hochwertige Filterpapier, das nur in kleinen Mengen benötigt wird, sich zu teuer stellte, schien es wirtschaftlicher, es selbst zu produzieren. Monatlich 1,5 t Fließpapier und etwa 100 t Dachpappe werden heute in eigener Papierfabrik zum Weiterverkauf hergestellt. Außerdem wurden ein eigenes Presswerk und eine Gießerei notwendig.

Atemschutzgeräte, medizinische und autogene Schneid- und Schweißgeräte bilden zur Zeit den wesentlichsten Teil des umfangreichen Fertigungsprogramms. Rund 22.000 Akkorde liegen fest. 17.000 Menschen werden beschäftigt, darunter ungefähr 35 % Frauen. Es müssen, um wirtschaftlich zu sein, monatlich 1100 DM je Belegschaftsmitglied umgesetzt werden. Dieser Wert entspricht in etwa den Werten der Skalen unserer „Kohlenuhr“.

Der Rundgang durch die einzelnen Abteilungen gab uns einen Einblick in die Produktion des Werkes, in dem ständig an Verbesserungen und Erfindungen gearbeitet wird. Großer Wert wird auf eine enge Bindung mit dem Bergbau gelegt. Zum Abschluss der Besichtigung wurde uns ein Film über den Einsatz der Atemschutzgeräte im Bergbau gezeigt.

Das Mittagsmahl wurde in den Schiffahrtsgaststätten von Lübeck eingenommen. Die prunkvolle Einrichtung, Wandbilder aus der hanseatischen Zeit und dazu Kerzenlicht, gaben dieser Zusammenkunft eine ganz besondere Note. Herr Dr. Hollmann gab in seiner Abschiedsrede seiner Freude darüber Ausdruck, daß er auch einmal angehende Kaufleute durch das Werk führen konnte. Für uns war diese Besichtigung sehr aufschlussreich.

Die Abfahrt von Lübeck führte uns am Lübecker Salztor und an der Trave entlang zur Autobahn Richtung Hamburg. In der Jugendherberge an der Landungsbrücke wurde übernachtet. Die Herberge ist fast hotelmäßig eingerichtet, der sonst so schöne Kontakt des Herbergsvaters mit der Jugend fehlte dafür.

Dienstagmorgen folgte eine zünftige Hafenrundfahrt, die uns die Bedeutung des Welthafens verständlich machte. Trockendocksanlagen, Stülckenwerft, Hohwaldtwerft, Blohm & Voss bleiben für uns unvergeßlich. Schiffe sämtlicher Nationen lagen in den einzelnen Häfen. Unsere besondere Aufmerksamkeit galt verständlicherweise dem Kohlumschlagshafen. Die Erklärungen des Käptn konnten ausführlicher nicht sein und waren mit Hamburger Humor gewürzt. 19 Kräne im Werte von je einer halben Million DM waren in Betrieb. Wir sind mit unserer Barkasse bis dicht an die großen Schiffe gefahren und haben manchmal unterm Heck bezw. Bug die Schleifen gezogen. Am Zollhafen endete die lehrreiche Fahrt, die für uns einen großen Wert für den Abschluss der Ausbildung hat. Nun ging es zum Fischereihafen. Dann wurden die Fisch-Großverkaufshallen besichtigt. Damit rückte die Zeit für Hamburg heran. Phoenix erwartete uns dort.

Eine zweistündige Führung mit erfahrenen Gruppenführern des Werkes vermittelte uns einen Einblick in die Phoenixwerke, die für den Bergbau sehr wichtig sind. Beim Rohgummi bezw. Kautschuk, der wie in einem modernen Teigbetrieb einer Brotfabrik gemischt wird, beginnt die Aufbereitung. Die Mischung läuft nicht in einen Bottich, sondern durch zwei Stahlwalzen. Von hier aus geht die Rohmasse je nach Elastizität über große Hängerollen und wird ständig durch einen Hebel gewendet. Die Aufbereitung zeigt, wie wichtig es ist, in möglichst kurzer Zeit das angeführte Mischverfahren durchzuführen. Dann gelangen die verschiedenen Mischsorten in die Fertigungsabteilungen. Schläuche, wie sie der Bergbau braucht, werden maschinell geformt, aus der Presse gedrückt, Art und Stärke je nach der gestellten Anforderung verändert. Der Druck, dem die Schläuche bei der Verwendung unterliegen, spielt hierbei eine große Rolle. Die Hydraulikschläuche sind auf die betreffenden Ölsorten im Bergbau geeicht, so daß ein Auflösen des Gummis praktisch nicht möglich ist. „Phoenix“ paßt sich ganz den Wünschen der Kundschaft an. Deshalb ist die Werksleitung auch bemüht, engen Kontakt zu bekommen und stets über den Verwendungszweck der Fertigware unterrichtet zu sein. Nur so können einmal aufgetretene Mängel beseitigt werden.

Die Arbeit läuft hier am Fließband nach amerikanischem System. Fast 70 % der Belegschaft steht im Akkord. Die Herstellung von Gummistiefeln und Gummihandschuhen erfolgt ausschließlich durch Frauen. Außerdem werden hier auch Schuhe für sämtliche Sportarten, Badeschuhe, Gummischürzen, Operationsschuhe usw. hergestellt. Der letzte Rundgang zeigte uns die Schlauch- und Reifenherstellung. Sogar die Produktionen der Firestone-Reifen wurde uns vorgeführt. Die vielen neuesten Öfen der amerikanischen Reifenindustrie zeigten uns den Vorgang im Ofen. Sämtliche Gummierzeugnisse wurden durch Wagen in große Öfen geschoben und unter Hitze gesetzt. Darauf erfolgte die zweite sorgfältige Kontrolle der Fertigfabrikate. Außerdem wurde uns das Abdrücken der Schläuche am Prüfstand vorgeführt. Die Produktion ist dem Versand völlig angepaßt, so daß keine Waren zur Lagerung kommen. Trotzdem erfolgt kein Stillstand, weil Saisonartikel im kleineren Rahmen angefertigt werden.

Nach dem Rundgang versammelten sich beide Gruppen im großen Sitzungssaal. Herr Sander, der Leiter der Verkaufsabteilung, begrüßte uns und stellte in einer kurzen Ansprache die Verbundenheit unserer Werke heraus. Im Rahmen einer anschließenden Diskussion gab Herr Jackengroll, der technische Leiter der Phoenix-Werke, nochmals einen umfassenden Einblick in die Probleme und Aufgaben der modernen Gummifabrikation. Interessant waren unter anderem die Erfahrungen aus der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit einem der größten amerikanischen Gummikonzerne, der Firestone-Company aus der Gummimetropole Akron. An Beispielen in den Phoenix-Werken in Harburg stellte sich einmal mehr heraus, die fruchtbringend eine weitläufige internationale Zusammenarbeit sein kann.

Als besonders erfreulich muß festgestellt werden, daß bei der Diskussion die angehenden Kaufleute zahlreiche Fragen stellt. Aus Gründen der Geheimhaltung in gewissem Produktionsverfahren konnten sie zwar nicht immer aufrichtig beantwortet werden. Am Schluß seiner Ausführungen brachte Herr Jackengroll zum Ausdruck, es sei für ihn eine besondere Freude gewesen, nicht nur Techniker, sondern auch einmal Kaufleute in seinem Betrieb einzuführen, die sich sehr wissensdurstig mit der Materie beschäftigt hätten. Außerdem äußerte er, daß sein Wunsch sei, auch einmal seinen kaufmännischen Lehrlingen die Möglichkeit zu verschaffen, einen Einblick in die für sie ebenso interessanten Bergbau zu gewinnen. Unsere kaufmännischen Lehrlingen waren von dem Vorschlag sofort begeistert und versprachen, sich für diesen Wunsch bei ihrer Direktion einzusetzen.

Originalscans des Berichtes von 1955:

digitale Aufbereitung: M. Schelvis